Samstag, 18. August 2012

Pfälzer in Gefangenschaft III


Im dritten Teil seines Berichts aus der Krieggefangenschaft beschreibt Eugen Antoni seine Zeit im Lager Foucarville in der Normandie. Foucarville liegt ganz in der Nähe von "Utah-Beach", dem Küstenabschnitt, von wo die Invasion der Allierten am "D-Day" ihren Ausgang nahm. In dem Lager, auch "Continental Central Enclosure n°19" genannt, hielten sich zeitweise 40 000 Gefangene auf, die in sogenannten "cages", untergebracht waren, inklusive 216 Generälen und 6 Admirälen. Es war wie eine kleine Stadt und verfügte sogar über eine Schmalspureisenbahn für die Verteilung der Verpflegung und über Elektrizität lange bevor die umliegenden Dörfer an die Stromversorgung angeschlossen wurden; es hatte außerdem ein Theater und  ein Hospital mit 1000 Betten sowie zu einem Zeitpunkt, der nach dem vorliegenden Bericht liegen muss, auch mehrere Kapellen. Die Gefangenen wurden außer für lagerinterne Aufgaben für die Minenräumung und für Wiederaufbauarbeiten der zerstörten Normandie eingesetzt. Die letzten wurden 1948 entlassen


Lagerplan**
"Im neuen Lager F o u c a r v i l l e am Meeresufer der Normandie wandte sich Gott sei Dank! manches zum Bessern. Vor allem fanden wir hier bei den großen Sonntagsgottesdiensten auf dem Sportplatz einige hundert  Pfälzer Landsleute, darunter viele alte Bekannte. Bald hatten wir auch festgestellt, dass der Bauleiter des Lagers aus Kaiserslautern stammte und durch sein großes Ansehen bei der amerikanischen Lagerverwaltung einen „langen Arm“ besass. Den benutzte er auch kräftig dazu, Pfälzer Landsleuten zu begehrten Posten zu verhelfen. Bald war der und jener Kamerad in einem Baukommando untergebracht, fuhr auf der Lagerbahn oder arbeitete für die Lagerzeitung. Alle bekamen als „Worker“ eine bessere Verpflegung und Unterkunft und sorgten ihrerseits wieder dafür, dass jeder freiwerdende Posten in ihrer Umgebung nur durch einen Pfälzer besetzt wurde. Selbst in so begehrte Stellen wie Lagerbäckerei, Verpflegungsmagazin oder gar eine amerikanische Offiziersküche brachten wir schliesslich Pfälzer hinein. Sie versorgten getreulich jene vom Glück weniger begünstigten Kameraden, die keinen gehobenen Posten bekommen konnten mit all den guten Dingen, die ihnen reichlich zur Verfügung standen.
Die Lagerbäckerei, die täglich
20 000 Brote buk**
Leider mangelte es in der peinigenden Langeweile des Lagerlebens auch an g e i s t i g e r K o s t. Die wenigen Schmöker der Lagerbücherei waren bald gelesen, sprachen als reine Unterhaltungsliteratur leidgeprüfte Männer wenig an. Wir beneideten die protestantischen Kameraden, die vom Christlichen Verein  junger Männer (Y.M.C.A.) aus der Schweiz reichlich mit religiöser Literatur versorgt wurden. Manches lasen wir mit und benutzten sogar mit Erlaubnis unserer kath. Seelsorger protestantische Bibelübersetzungen, weil katholische fehlten. Nur ein einziges Heftchen stand uns lange Zeit zur Verfügung. Es war nicht mehr neu, von Kinderhand bekritzelt, zerknittert und beschmutzt. Ein Neustadter hatte es aus einem halbzerstörten Haus im Westwallbereich mitgenommen. Nun wanderte es im Zelt von Hand zu Hand, fand selbst in den Nachbarzelten aufmerksame Leser und diente schliesslich unsern Geistlichen als Vorbereitungsbuch zu Predigt und Religionsunterricht. So stiftetet dieses bescheidene „Christus“-Heftchen des Pigerredakteurs aus dem Pilgerverlag in Speyer unendlich viel Gutes selbst.
Später kamen dazu einige Gesangbücher des Bistums Basel und kleine, deutsche  Sonntagsmessbüchlein aus amerikanischem Ordensverlag. Klafft hier nicht eine bedauerliche Lücke in der katholischen Gefangenenhilfe? Wie mancher, der sich in den letzten Jahren vom Glauben abwandte, ist durch die seelischen Erschütterungen des Zusammenbruchs wieder aufnahmebereit geworden für religiöse Gedanken. Klug ausgewählte Bücher würden in den Kriegsgefangenenlagern  manchen Suchenden zum Glauben seiner Kindheit zurückführen. Niemehr werden Männer aller Altersstufen so viel Zeit zum Lesen haben und so aufnahmebereit auch für ernste Lektüre sein wie in den Monaten, ja vielleicht noch Jahren hinterm Stacheldraht.
Die amerikanische Lagerleitung, in der je ein protest. und ein kath. Feldkaplan einen grossen Einfluss besassen, sorgte sich schliesslich wenigstens um die geistige Betreuung  der 17 000 deutschen Jugendlichen unter achzehn Jahren, die in eigenen „Baby Cages“ untergebracht waren. Für sie wurde eine Art Berufsfortbildungsschule unter dem stolzen Titel „P.W. University“ eingerichtet*. Gleich von Anfang an waren wir Pfälzer in deren „Lehrkörper“  sehr gut vertreten, und bald wurde das Pfälzer Zelt im landschaftlich schönen Lehrercage an den Abenden und Sonntagnachmittagen ein Treffpunkt vieler Landsleute.  Wie liebevoll wurde hier gegenseitge Hilfe ausgetauscht! Wie grossartig jeder Geburtstag gefeiert! Achtundsiebzig Gratulanten stellten sich an diesem Tage bei mir ein und verscheuchten durch ihr ständiges Kommen und Gehen vom frühen Morgen bis zum späten Abend das zehrende Heimweh, das an allen Familienfesttagen in der Gefangenschaft sonst ganz besonders bitter brennt. Jeder Besucher brachte neben guten Wünschen und einem hoffnungsvollen Zuspruch trotz seiner eigenen Armut ein meist mühsam beschafftes Geschenk mit. Neben manchem wertvollen Kunstwerk, das emsiger Fleiss geschickter Bastler geschaffen, erfreute auch der einfache Feldblumenstrauss oder die durch Wochen gesammelten Zigarettenstummel als Futter für die ewig hungrige Pfeife.
Die Kirche von Foucarville
Was uns dieses Lehrercage besonders lieb machte, war neben seinem alten Baumbestand und dem schönen Ausblick auf das nahe Meer die gegenüber liegende uralte katholische Kirche. Ihr harmonisches Geläut erinnerte täglich dreimal an die unvergessenen Glocken der Heimat und an Sonntagen sahen wir mit sehnsüchtigen Augen durch den Stacheldraht auf der Strasse draussen zahlreiche Familien aus den weit zerstreuten Einzelgehöften der Umgebung am Vormittag zum Hochamt und nachmittags zur Vesper kommen. Doch mancher wandte sich mit Tränen im Auge vom Anblick der vorbeiströmenden alten Leute, der jungen Frauen und munteren Kinder ins Lager zurück, erinnerten sie doch gar zu sehr an die so lange entbehrten Lieben daheim. Immer schmerzvoller wurde die Sehnsucht nach ihnen. Darum machten wir Pfälzer Katholiken am Hochfest unserer Diözese, am Marienhimmelfahrtstage unserer Bistumspatronin ein Gelübde. Wir versprachen ihr nach glücklicher Heimkehr zu werben für eine sonntägliche, nach Pfarreien wechselnde M ä n n e r a n b e t u n g  auf  M a r i a  R o s e n b e r g.
Kirche der Wallfahrtsstätte Maria Rosenberg
bei Waldfischbach-Burgalben. Aufnahme
aus den 1940er Jahren
Ein begabter Schüler der Buchdruckerklasse schrieb die künstlerisch wertvolle Urkunde, in die sich Kameraden aus allen Teilen der Pfalz  und zugleich Vertreter der verschiedensten Stände und Berufe eintrugen. Die meisten Unterzeichner sind unter dem Schutze der Gottesmutter bereits wohlbehalten heimgekehrt. Sie beten für jene, die sich jetzt vereinsamt doppelt nach der Heimat sehnen. Wenn alle zurückgekehrt sind, werden wir von unserem Plane, der eine religiöse Festigung aller katholischen Männer der Pfalz bezweckt, noch mehr hören lassen."


*Solche "Lager-Unis" hat es mehrere gegeben. Sie waren natürlich vor allem der Umerziehung gewidmet, jedoch konnten dort auch berufliche und akademische Abschlüsse erworben werden. In Foucarville wurden Englisch, Französisch, Mathematik, Landwirtschaft, handwerkliche Fertigkeiten und Theologie unterrichtet. Ein eindrucksvolles Zeugnis des Theologiestudiums in Kriegsgefangenenlagern auf französischem Boden gibt das Buch von Walter Ohler: "Der Herr hat uns hierhergebracht..." Gefangenschaft und Theologiestudium in den französischen Lagern Chartres und Montpellier 1945-1947. (1999 herausgegeben von Christophe Baginski und Christine Lauer im Knecht Verlag, Landau).
Mehr zum Theologiestudium in Kriegsgefangenenlagern hier und hier.

** Mehr Bilder und Informationen über das Lager Foucarville sind hier zu finden.

8 Kommentare:

  1. Ein sehr informativer und berührender Bericht. Vielen Dank dafür. Auch mein Großvater war in französischer Gefangenschaft, aber er hat mit uns Kindern nie darüber gesprochen.

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  2. Unser Großvater konnte auch nicht mit uns sprechen, denn als wir geboren wurden, lebte er nicht mehr (s. die anderen Einträge über ihn). Sehr schade. Aber unsere Mutter hat viel über die Zeit und über ihn erzählt. Die Lager, in denen er war, waren zwar auf französischem Boden, aber es waren amerikanische Lager.

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  3. ...und die hier wiedergegebenen Berichte hat er schriftlich hinterlassen. Wie Gabriele schon schrieb, hatte er wohl vor, einen Artikel zu schreiben - vielleicht ist er auch einmal veröffentlicht worden.
    Vielen Dank, wir freuen uns über das Interesse!

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  4. Bitte diese Dokumente unbedingt festhalten, bewahren und weitergeben! Sie sind von unschätzbarem Wert.(Das sage ich als Historiker!)

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    1. Lieber Severus, das werden wir. Das ist natürlich toll von einem Historiker so was zu hören. Wir werden es meinen Tanten, den beiden noch lebenden Töchtern von Eugen Antoni sagen. Das freut sie ganz bestimmt!

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    2. Historiker - Hysteriker - egal! Aber so was darf nicht verloren gehen, echt jetzt!
      Liebe Grüße!
      Die Jungfüchse sind wieder da, Gott sei Dank!

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  5. Da alle acht Enkel sowie mindestens eine Urenkelin von allen Dokumenten Kopien haben, sind wir, glaube ich, auf der sicheren Seite ...:))

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