Diesen Bericht werden wir hier aufgrund seiner Länge in mehreren Teilen einstellen. Er ist nicht nur als generelles Zeitzeugnis interessant, sondern auch deshalb, weil er einmal mehr den Mythos vom vor dem Konzil liturgisch völlig ungebildeten und unselbständigen katholischen Laien in Frage stellt.
Pfälzer in Gefangenschaft
von Hauptlehrer E. Antoni, Esthal
Erinnert ihr euch noch an die Geschichte vom Pfälzer Weberlein? Vor Jahren haben wir sie in der Volkssschule gelernt und waren stolz
auf den stimmkräftigen Landsmann, den der Pfälzer Kaiser im Wiener Stephansdome
aus Hunderten von Sängern heraushörte. Gerade so wie dem guten Kaiser Rupprecht
im fernen Wien ging es mir in mehreren amerikanischen Gefangenenlagern. Ich
hatte Heimweh nach der schönen Pfalz, noch mehr aber nach den lieben Pfälzern.
Wenn man ganz allein unter einigen tausend Ostmarkern, Sachsen oder gar
Preussen leben muss, die so ganz anders in ihrem Denken, Fühlen und Reden sind,
kommt einem gar oft das heulende Elend an. Übetriebene österreichische
Höflichkeit, sächsische Gemütlichkeit und preussische Großmäuligkeit „hängt“
dem Pfälzer schon nach einigen Wochen „ellenlang zum Halse heraus“. Mit allen
Fasern des Herzens sehnt er sich darnach, endlich wieder auf gut Pfälzisch ohne
alle Höflichkeitsfloskeln und nichtssagenden Sprüche „bable“ zu können. Als ich an Christi
Himmelfahrt im Lager V o v e s ganz tief im seelischen Katzenjammer drinstak,
kam die Rettung. Beim Lagergottesdienst, dem einige tausend Gefangene
beiwohnten, klangen sieghaft aus dem zaghaften, unsicheren Gesang der Söhne
vieler deutscher Stämme einige klare, kräftige und wohlgeschulte Stimmen
heraus. Sofort erkannte ich an der heimatlichen Sangesart die Landsleute und
konnte kaum den Schluss des Gottesdienstes abwarten, um sie zu begrüssen. Rasch
war die Kameradschaft – von der die „lieben“ Preussen immer soviel redeten und
so wenig zeigten – bei den paar Pfälzer da, umschloss uns doch ein doppeltes
Band: die gleiche Heimat und der gleiche Glaube.
Wie wohltuend empfand es das Ohr, nach langer Zeit wieder
einmal die vertrauten Laute aus dem Hasenpfuhl und Hemshof, vom Kotten und
Horeb zu hören! Über uralte Bauernwitze aus dem tiefsten Westrich wurde
herzhaft gelacht und manche Kalamität des düstern Alltags mit der
zuversichtlichen Lebensweisheit zahlreicher Sprichwörter vom Rande der Haardt
überwunden. Noch mehr aber half zur Meisterung vielfacher Nöte die
nieversagende Hilfe der Landsmannschaft , die in ihrer Gesamtheit alles das
besass, was dem Einzelnen fehlte: Nähnadel, Schere und Faden, Rasierpinsel und
Spiegel, Zigarettenmaschine und Schuhbürste, kurzum viele unscheinbare, aber
unentbehrliche Dinge täglichen Bedarfes. Was einer besass, stand allen zur
Verfügung und ging ständig reihum. Aber auch mit Kenntnissen und Fertigkeiten
half man sich brüderlich aus. Einer, dem glücklicherweise schon seine Mutter
das Strümpfestopfen beibrachte, besorgte es für die anderen, die es als alte
Männer leider nichtmehr lernten. Ein anderer bastelte aus Konservenbüchsen
Essnäpfe, Trinkbecher und Seifenschalen, bis er wegen der ewigen Klopferei aus
einer Lagerecke in die andere gescheucht wurde. Ein dritter fabrizierte Zeltstoffhausschuhe
mit Holzsohlen, ein vierter Reisekoffer aus Kistenbrettern. Da schnitzte eine
besonders geschickte Hand mit alten Rasierklingen aus Birkenholzstückchen künstlerische
Schachfiguren, dort malte ein Zeichengenie auf sorgfältg gesammelten
gleichartigen Zigarettenschachteln lustige Kartenblätter, die bald aus Pfälzer
Faust mit herzhaftem „Trump!“ auf den wackligen Zelttisch knallten.
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