Sonntag, 29. Juli 2012

Bericht aus der Gefangenschaft

Vermutlich im letzten Kriegsjahr und darüber hinaus (genaue Daten liegen uns leider nicht vor) verbrachte unser Großvater Eugen Antoni einige Monate in amerikanischer Gefangenschaft in verschiedenen Lagern auf französischem Boden - zunächst in Voves bei Chartres, dann in Foucarville in der Normandie. Zurück in Esthal verfasste er über diese schwierige Zeit einen Bericht, der vermutlich zur Publikation bestimmt war und vielleicht auch veröffentlicht wurde - möglicherweise in der Bistumszeitung "Der Pilger".
Diesen Bericht werden wir hier aufgrund seiner Länge in mehreren Teilen einstellen. Er ist nicht nur als generelles Zeitzeugnis interessant, sondern auch deshalb, weil er einmal mehr den Mythos vom vor dem Konzil  liturgisch völlig ungebildeten und unselbständigen katholischen Laien in Frage stellt.


Pfälzer in Gefangenschaft
von Hauptlehrer E. Antoni, Esthal



Erinnert ihr euch noch an die Geschichte vom Pfälzer Weberlein? Vor Jahren haben wir sie in der Volkssschule gelernt und waren stolz auf den stimmkräftigen Landsmann, den der Pfälzer Kaiser im Wiener Stephansdome aus Hunderten von Sängern heraushörte. Gerade so wie dem guten Kaiser Rupprecht im fernen Wien ging es mir in mehreren amerikanischen Gefangenenlagern. Ich hatte Heimweh nach der schönen Pfalz, noch mehr aber nach den lieben Pfälzern. Wenn man ganz allein unter einigen tausend Ostmarkern, Sachsen oder gar Preussen leben muss, die so ganz anders in ihrem Denken, Fühlen und Reden sind, kommt einem gar oft das heulende Elend an. Übetriebene österreichische Höflichkeit, sächsische Gemütlichkeit und preussische Großmäuligkeit „hängt“ dem Pfälzer schon nach einigen Wochen „ellenlang zum Halse heraus“. Mit allen Fasern des Herzens sehnt er sich darnach, endlich wieder auf gut Pfälzisch ohne alle Höflichkeitsfloskeln und nichtssagenden Sprüche  „bable“ zu können. Als ich an Christi Himmelfahrt im Lager V o v e s ganz tief im seelischen Katzenjammer drinstak, kam die Rettung. Beim Lagergottesdienst, dem einige tausend Gefangene beiwohnten, klangen sieghaft aus dem zaghaften, unsicheren Gesang der Söhne vieler deutscher Stämme einige klare, kräftige und wohlgeschulte Stimmen heraus. Sofort erkannte ich an der heimatlichen Sangesart die Landsleute und konnte kaum den Schluss des Gottesdienstes abwarten, um sie zu begrüssen. Rasch war die Kameradschaft – von der die „lieben“ Preussen immer soviel redeten und so wenig zeigten – bei den paar Pfälzer da, umschloss uns doch ein doppeltes Band: die gleiche Heimat und der gleiche Glaube.
Wie wohltuend empfand es das Ohr, nach langer Zeit wieder einmal die vertrauten Laute aus dem Hasenpfuhl und Hemshof, vom Kotten und Horeb zu hören! Über uralte Bauernwitze aus dem tiefsten Westrich wurde herzhaft gelacht und manche Kalamität des düstern Alltags mit der zuversichtlichen Lebensweisheit zahlreicher Sprichwörter vom Rande der Haardt überwunden. Noch mehr aber half zur Meisterung vielfacher Nöte die nieversagende Hilfe der Landsmannschaft , die in ihrer Gesamtheit alles das besass, was dem Einzelnen fehlte: Nähnadel, Schere und Faden, Rasierpinsel und Spiegel, Zigarettenmaschine und Schuhbürste, kurzum viele unscheinbare, aber unentbehrliche Dinge täglichen Bedarfes. Was einer besass, stand allen zur Verfügung und ging ständig reihum. Aber auch mit Kenntnissen und Fertigkeiten half man sich brüderlich aus. Einer, dem glücklicherweise schon seine Mutter das Strümpfestopfen beibrachte, besorgte es für die anderen, die es als alte Männer leider nichtmehr lernten. Ein anderer bastelte aus Konservenbüchsen Essnäpfe, Trinkbecher und Seifenschalen, bis er wegen der ewigen Klopferei aus einer Lagerecke in die andere gescheucht wurde. Ein dritter fabrizierte Zeltstoffhausschuhe mit Holzsohlen, ein vierter Reisekoffer aus Kistenbrettern. Da schnitzte eine besonders geschickte Hand mit alten Rasierklingen aus Birkenholzstückchen künstlerische Schachfiguren, dort malte ein Zeichengenie auf sorgfältg gesammelten gleichartigen Zigarettenschachteln lustige Kartenblätter, die bald aus Pfälzer Faust mit herzhaftem „Trump!“ auf den wackligen Zelttisch knallten. 


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