Sonntag, 24. Februar 2013

Hirtenbrief zum 2. Sonntag der Fastenzeit vom Bischof von Speyer


Aus Album 15: Südlich von Rödersheim - Gronau - das Feld zur Aussaat bereit


Hirtenbrief zum 2. Fastensonntag 2013

Von Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann

Auf Christus schauen – auf Christus hören

Liebe Schwestern und Brüder!
Bei einem Gesprächsabend mit Studenten wurde ich vor kurzem gefragt, in welcher Bibelszene ich selbst gerne dabei gewesen wäre. Spontan habe ich geantwortet: „Bei der Verklärung Jesu Christi auf dem Berg.“ Erst im Nachdenken über meine eigene Antwort ist mir klar geworden, dass ich hier intuitiv auf die tief empfundene Not des Augenblicks reagiert habe: auf den Wunsch, durch alles, was sich wie ein schwerer Schatten auf die Freude am Glauben und am Leben der Kirche gelegt hat, hindurchzublicken auf den Herrn der Kirche selbst. Auf ihn, der Licht ist auf allen Wegen. Dieser Wunsch drückt die Sehnsucht aus, Jesus wieder klarer erkennen zu können hinter all dem und durch all das hindurch, was in der Kirche und der Welt von heute geschieht. Dann kann die Zuversicht selbst in der Bedrängnis wachsen. Und auch der Mut, Umkehr und Erneuerung zu wagen.
In der Zwischenzeit ist durch die überraschende Rücktrittserklärung unseres Heiligen Vaters, Papst Benedikt, die Situation der Kirche nochmals verändert. Ich habe großen Respekt vor seiner Entscheidung, aus der ein hohes Verantwortungsbewusstsein für die Kirche in der Welt von heute spricht. Papst Benedikt ist ein großer, leidenschaftlicher Gottsucher. „Wo Gott ist, da ist Zukunft.“ Das Motto seines letzten Deutschlandbesuches steht über seinem ganzen Leben, und es gibt Antwort auf die Herausforderung der säkularisierten Welt. In all seiner geistigen und geistlichen Größe zeigt er nun mit seinem Rücktritt auf beeindruckende Weise: Auch der Papst ist nur ein Mensch. Und es hat mich ergriffen, dass er bei seiner Erklärung in schlichter, demütiger Weise auch um Verzeihung für seine Fehler gebeten hat. Gleichzeitig zeigt sich mit seinem Rücktritt sein unerschütterliches Vertrauen darauf, dass es Gott selber in Jesus Christus und durch den von ihm gesandten Geist ist, der seine Kirche führt, so dass die „Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen“ können (Mt 16,18). Durch die Lücke, die nun mit der Vakanz entsteht, und durch das eindringliche Gebet der ganzen Kirche um den Heiligen Geist, das das kommende Konklave begleitet, wird deutlich: Nicht wir „machen“ Kirche, sondern alles kommt darauf an, dass der Herr selber seine Kirche führt. Wir können nur, wie Papst Benedikt am Anfang seines Pontifikates gesagt hat, „einfache demütige Arbeiter im Weinberg des Herrn“ sein.
Damit rückt nun der tiefe Wunsch nach dem Durchblick auf den Herrn selber wieder in den Mittelpunkt, so wie ihn der heilige Paulus leidenschaftlich formuliert hat: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung.“ (Phil 3,10) Das führt uns zur Szene der Verklärung im heutigen Evangelium zurück.
Diese Szene hat geheimnisvolle Züge. Jesus nimmt drei seiner Jünger beiseite, um sich mit ihnen in die Einsamkeit einer Bergeshöhe zum Gebet  zurückzuziehen. Irgendetwas muss Jesus im Inneren aufgewühlt haben. Schon zuvor heißt es im Lukas-Evangelium, dass Jesus aus der Einsamkeit des Gebetes heraus seine Jünger fragte: „Wofür halten mich die Leute?“ (Lk 9,18) Was sagt die öffentliche Meinung? Und er fügt an diese Frage seine erste Leidensankündigung an, die er nur dem inneren Kreis der Jünger anvertraut. Zu allen aber, sagte er: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lk 9, 23) Er beschwört sie geradezu, sich nicht in die Irre führen zu lassen. „Was nützt es einem Menschen“, ruft er aus, „wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ Und er fügt hinzu: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er  in seiner Hoheit kommt…“ (Lk 9,24-26) Das ist die innere und äußere Stimmung, in der Jesus mit dem engsten Kreis seiner Jünger auf den Berg steigt.
Und während des Gebetes geschieht eine geheimnisvolle Wandlung. Das Aussehen seines Gesichtes, ja seiner ganzen Gestalt wird von Licht durchflutet – und er ist auf einmal nicht mehr alleine da. Aus der einsamen Gestalt des Beters wird unter den staunenden Blicken der Jünger eine Gemeinschaft von Zeugen. Da erscheinen Moses, der für das Gesetz im Alten Bund steht, und Elija, der die Reihe der Propheten verkörpert. Der ganze Alte Bund, Gesetz und Propheten, verweist auf diesen Jesus von Nazareth. Und die drei Jünger, Petrus, Johannes und Jakobus, sind als Kern des neuen Volkes Gottes, der Kirche, in dieses Geschehen als Zeugen ganz hinein genommen. Gott selbst beglaubigt seinen Sohn aus der Wolke heraus als sein endgültiges Wort an uns Menschen: „Auf ihn sollt ihr hören.“ (Lk 9,35)
Was würde Jesus sagen, wie würde er handeln? Diese Frage müssen wir uns immer wieder stellen. Im Morgengebet der Kirche beten wir jeden Tag: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes hat uns besucht das aufstrahlende Licht aus de Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes.“ (Lk 1,79) Viele suchen und sehnen sich gerade in unserer Zeit nach diesem barmherzigen Angesicht, das durch die Kirche in die Welt leuchten soll. Und sie stoßen sich zu recht daran, wenn es durch Fehlverhalten verdunkelt wird. So wie Jesus niemanden in Not abgewiesen hat, müssen auch wir uns gerade den Menschen in schwierigen und Not beladenen Lebenssituationen mit Liebe und einfühlender Hilfsbereitschaft zuwenden.
Was würde Jesus sagen, wie würde er handeln? Die Antwort auf diese Frage können wir nur finden, wenn wir auf Jesus schauen, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Jesus ist kein losgelöster religiöser oder sozialer Revolutionär, dessen Gestalt sich je nach Zeitvorstellung formen ließe. Zu Jesus finden wir in der Glaubensgemeinschaft der Kirche durch das Zeugnis der Schrift. Was aber sagt Jesus nach dem Zeugnis der Schrift von sich selbst? „Ich bin nicht … gekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ (Joh 6,38) So hat er uns auch zu beten gelehrt: „Vater, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ (Mt 6,10) Die Jünger müssen lernen, sich nicht einrichten zu können in den eigenen Vorstellungen von der Erlösung Israels, sondern mit Jesus Christus den Willen Gottes mit ganzer Kraft zu suchen und anzunehmen. Die Erfahrung der Verklärung bereitet sie für die entscheidenden Augenblicke vor, in denen sich der Weg und Wille Gottes so anders als ihre Vorstellungen davon erweisen und sie Gefahr laufen, daran irre zu werden. Und wieder sind es dieselben drei Apostel als Urkern der Kirche, die Jesus am Abend vor seinem Leiden mit in die Einsamkeit seines Gebetes nimmt, diesmal auf den Ölberg im Garten Gethsemanie. Für Jesus ist es die entscheidende Stunde, dem Willen Gottes nicht auszuweichen, sondern ihn ganz zu erfüllen: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ (Lk 22,42) Das Licht von Ostern, das alle Dunkelheit zu durchdringen vermag, gründet in dieser Stunde letzter Treue und Hingabe. Die Ostererfahrung der Jünger ist zuinnerst damit verbunden, dass ihnen nun aufgeht, dass der Menschensohn das Leiden auf sich nehmen musste.
Ich weiß, dass es nicht leicht ist, den Willen Gottes zu erkennen, und dass er nicht einfachhin gleich ist mit den manchmal auch sehr zeitbedingten Auffassungen und Gewohnheiten in der Kirche. Deus semper maior – Gott ist immer größer: das ist eine Grunderkenntnis, die uns gerade die Heiligen, die großen Gottsucher und Erneuerer der Kirche lehren. Die Kirche ist kein Über-Ich, das die Suche des Einzelnen, die eigene Gewissensverantwortung und die persönliche Aneignung des im Glauben Erkannten überflüssig machte. Eine gute Dialogkultur in der Kirche lebt aus dem Respekt davor. Aber die Kirche birgt in sich einen unauslotbaren Schatz von Glaubensweisheit unzähliger Glaubenszeugen durch die vielen Jahrhunderte hindurch. Ihr ist die feste Zusicherung gegeben, dass der Heilige Geist sie in der Wahrheit hält. Die Kirche steht, wie das II. Vatikanische Konzil gesagt hat, nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm (vgl. DV 12). Durch das Wirken des Geistes aber wird das Lehramt der Kirche in der Wahrheit gehalten, so dass das Volk Gottes sicher sein kann, „nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes“ zu empfangen (LG 12).
„Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68), bekennt Petrus im Johannes-Evangelium. Unter diesem Leitwort laden wir Bischöfe alle Gläubigen zur Mitfeier eines gemeinsamen eucharistischen Kongresses im Juni nach Köln ein. Wir wollen uns um den Herrn der Kirche versammeln. Aus seiner Gegenwart im Sakrament empfangen wir die Kraft, die Kirche zu erneuern und sie zu verlebendigen in der Freude am Glauben und an der Gemeinschaft im Glauben. Der eucharistische Kongress bietet eine große Chance: mit seinen Gottesdiensten, aber auch mit den vielen Möglichkeiten, sich über den Glauben auszutauschen, ihn zu vertiefen und Gemeinschaft in all dem zu erfahren. Das, was uns bewegt und uns Kraft und Zuversicht schenkt, stellen wir sichtbar und erfahrbar in die Mitte: die Freude am Herrn, die unsere Stärke ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele aus unseren Gemeinden und Verbänden mit nach Köln kämen. Gerade unsere Zeit braucht ein solches gemeinsames Zeugnis von der Lebendigkeit und Erneuerungskraft der Kirche, ein Zeugnis von jener Strahlkraft, die auch heute von Jesus Christus ausgeht und die alle Dunkelheiten unserer Welt durchdringen kann.
Ich danke allen für Ihr treues Glaubenszeugnis mitten in einer herausfordernden Zeit, das auch mich stärkt und ermutigt. Als Brüder und Schwestern sind wir gemeinsam in diese Stunde der Geschichte unserer Kirche gestellt. Bitten wir den Herrn, dass er uns mit seinem Licht erleuchte und in uns die Zuversicht des Glaubens bewahre. Bitten wir ihn auch um einen guten Nachfolger unseres Papstes Benedikt. So segne Sie alle der barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

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