Mit diesen Worten unterrichtete Alice Harnoncourt die Öffentlichkeit über den Tod ihres Mannes, mit dem sie eine mehr als 60 Jahre währende Ehe und eben so lange musikalische Zusammenarbeit verband. Innerhalb dieser "Öffentlichkeit" gibt es viele, die sein Tod sehr bewegt, und ich gehöre zu ihnen. Nikolaus Harnoncourt (mit vollem Namen Johann Nikolaus Graf de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, geboren am Nikolaustag 1929) verdanke ich das wenige, was ich von Musik begriffen habe und darüber hinaus viele weitere Einsichten. Obwohl wir uns natürlich nie persönlich begegnet sind, stehen deshalb nicht nur seine Bücher * sondern auch sein Foto auf meinem Bücherregal neben denen meiner Eltern, enger Freunde und Verwandten und dem von Gilbert Keith Chesterton.
Schon zu seinem 80. Geburtstag hatte er gescherzt: "Es gibt ein Ablaufdatum bei mir. Natürlich plane ich - aber ich warne jeden, de mit mir etwas plant." Am Tag vor seinem 86. Geburtstag war dann das Ablaufdatum erreicht. In gewohnter Souveränität trat er vom Pult ab und richtete ein letztes Wort an sein Publikum - in Form eines Einlegeblatts in das schon gedruckte Programmheft:
Wie ihn Kollegen gesehen haben, mag ein Zitat aus dem Nachruf des ORF wiedergeben:
Für die Wiener Philharmoniker ist nach dem Tod von Harnoncourt „nichts mehr so, wie es war“. Das schrieb Vorstand Andreas Großbauer im Namen das Orchesters, das sich derzeit auf Tournee in Südamerika befindet. Harnoncourt war Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Zweimal - 2001 und 2003 - hatte er das Neujahrskonzert dirigiert.
„Wir werden diesen Querkopf, Andersdenker und Tiefenbohrer in die menschlichen Seelen vermissen. Viele Werke von Johann Sebastian Bach bis Alban Berg haben wir durch ihn neu gelernt. Seine bahnbrechenden Interpretationen führten uns an unsere Grenzen und darüber hinaus. Sie haben uns vor den Kopf gestoßen, erschüttert - und überzeugt. In tiefer Verbundenheit gilt unser Mitgefühl seiner Familie“
Ich hatte zuerst Mitte der Neunziger von ihm in der "Zeit" gelesen - als ich noch gar keine Ahnung von Musik hatte. Besonders faszinierten mich seine Schilderungen des Daseins eines Orchestermusikers zwischen Meisterschaft und Unterordnung. Vielleicht war es dieses Interview hier, aber ich glaube nicht. Von da an wünschte ich mir, ihn einmal zu erleben, und als es mich 1996 nach Berlin verschlug, war es soweit. Ich hatte nur einen der billigen Plätze auf dem Podium der Philharmonie hinter dem Orchester ergattern können, aber das stellte sich als großes Glück heraus: Die Klangqualität ist hinter dem Orchester natürlich bescheiden aber stattdessen konnte ich sehen. Sehen, warum es einen Dirigenten gibt - was ich Banause mich vorher immer gefragt hatte. Sehen wie sich der Klang aus den Fingern (er arbeitete immer ohne Taktstock) und den Augen dieses Dirigenten durch das Orchester bewegte. Der Klang wurde geradezu körperlich - ein lebendes atmendes sich bewegendes Wesen. Es wurde greifbar, warum dieser Mann darauf bestand, dass Sprache Musik ist und Musik Sprache. Von da an faszinierte mich Musik, was u.a. in den vergeblichen Versuch mündete, mit über 40 Jahren noch ein Instrument zu erlernen. Anderes war nicht so vergeblich.Nikolaus Harnoncourt bei seinem Abschied von Berlin im Konzerthaus am Gendarmenmarkt im Oktober 2014 |
"Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage - sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Menschsein" - mit diesem Zitat von ihm hat die FAZ online über seinen Tod berichtet. Malerische Aphorismen dieser Art waren eine der ganz großen Begabungen dieses auf mehreren Ebenen Sprach-Kundigen. Statt meinerseits noch mehr dürftige Worte über ihn zu verlieren, möchte ich einige davon hier zitieren. Die Autorin und der Verlag, in dem sie veröffentlicht wurden, mögen es mir verzeihen und als Werbung ansehen.
Lächeln kann er auch ... |
(T 13-20)
Die beiden "Kyrie eleison" - das drückt Erfüllung - Nichterfüllung aus, die zwei Takte dazwischen, nach dem Trugschluss, die heißen: ojeojeoje
(Fugenthema Kyrie T. 35ff, zu den Chorbässen)
Irgendwie ist das nicht echt, klingt so - profimäßig
und sogar noch ein bisschen mehr - obwohl er fand, dass das laute Lachen nie Freude ausdrückt, höchstens Schadenfreude |
Verzweiflung und Nichterfüllung! Heulen! Ich dreh durch! - Nur der Tenor darf ein bisserl schön sein.
(T 128)
Bässe! Richtig schreien! Es klingt sonst wie ein harmloser Feuersalamander gegen ein Krokodil!
Schreien ist verboten, ich weiß, aber es ist richtig. Ich finde schon, dass ein Chor schreien darf … aber ich bin ja kein Inhaber eines Chores
T(67 ff)
Ihr schwebts da wie die Seraphime, die haben keine Beine aber sechs Flügel, und die schauen einen immer an, egal ob man da oder dort steht.
inmitten seiner Musiker - der Concentus Musicus |
(T 5ff, "Patrum omnipotentem, factorem coeli et terrae"; zum Chor)
Ihr singts: Der hat alles gemacht. Homework. Und das Orchester macht die Nutverbindungen.
(T 39ff; "Genitum, non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia factum sunt")
Der ganze Chor findet das witzig, dass er "genitum" ist und nicht "factum", dass er gezeugt und nicht gemacht und einfach plötzlich so da ist.
(T 141 ff; "Judicare vivos et mortuos", unterbricht, zum Chor)
Sie sind Verteidiger, oder? Sie hauen jeden raus … Aber nein! Sie sind Staatsanwälte!! Sie bringen alle in die Hölle!
(T 166 ff; "Et in spiritum sanctum, Dominum, et vivicantem …")
Normalerweise ist er ja immer ein Vogerl, der heilige Geist, aber hier sind das Insekten … können Sie das bitte singen wie tanzende Libellen?
etc etc etc
Nikolaus Harnoncourt, mögen Sie ruhen in Frieden und das ewige Licht leuchte Ihnen. Ich freue mich darauf, Ihnen dereinst zu begegnen, wenn der Herr es will.
*von Nikolaus Harnoncourt:
Musik als Klangrede. Wege zu einem neuen Musikverständnis. Bärenreiter Verlag. ISBN 3-423-10500-3; 1982 Residenz Verlag. ISBN 3-7017-0315-9.
Der musikalische Dialog. Gedanken zu Monteverdi, Bach und Mozart. Bärenreiter Verlag 2001; Residenz Verlag 1984. ISBN 3-7017-0372-8.
Was ist Wahrheit? Zwei Reden. Residenz Verlag 1995. ISBN 3-7017-0889-4
Töne sind höhere Worte. Gespräche über romantische Musik. Residenz Verlag 2007. ISBN 978-3-7017-3055-1
über Nikolaus Harnoncourt; u.a.:
Monika Mertl: Vom Denken des Herzens: Alice und Nikolaus Harnoncourt. Eine Biographie. Residenz Verlag 1999. ISBN 3-7017-1051-1
Sabine Gruber: Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten. Die Sprachbilderwelt des Nikolaus Harnoncourt. Residenz-Verlag 2003. ISBN 3-7017-1345-6
Sabine Gruber: Mit einem Fuß in der Frühlingswiese. Ein Spaziergang durch Haydns Jahreszeiten mit Sprachbildern von Nikolaus Harnoncourt. Residenz Verlag 2009. ISBN 978-3-7017-1517-6
Interview mit Jürgen Flimm, Regisseur und Intendant der Berliner Staatsoper, anlässlich des Todes von Nikolaus Harnoncourt
Eine Würdigung durch die Berliner Philharmoniker, mit denen er so häufig gearbeitet hat.
Gedenkseite der Styriarte, des Festivals in Graz, das jeden Sommer mit ihm und zu seinen Ehren stattfand
Interview mit Jürgen Flimm, Regisseur und Intendant der Berliner Staatsoper, anlässlich des Todes von Nikolaus Harnoncourt
Eine Würdigung durch die Berliner Philharmoniker, mit denen er so häufig gearbeitet hat.
Gedenkseite der Styriarte, des Festivals in Graz, das jeden Sommer mit ihm und zu seinen Ehren stattfand
Die ellenlange Diskograpie wird jeder Interessierte leicht finden. Das und andere Infos über ihn unter www.harnoncourt.info
Und hier berichtet noch ein Harnoncourt-Freund unter den Bloggern
Und hier berichtet noch ein Harnoncourt-Freund unter den Bloggern