Eisenhut |
Meine Freundin, eine wunderbare, kreative und kluge Frau hatte ALS. Bei ihr war es eine seltenere Form, es begann mit der Sprache und mit den Händen. So wie der junge Mann im Video am Ende spricht, so war es bei ihr am Anfang schon. Sie konnte noch laufen, als sie schon längst von fast niemand mehr verstanden wurde, und schreiben konnte sie damals auch nicht mehr. Ich konnte mich, wenn auch mit Mühe, relativ lange noch mit ihr unterhalten, dabei ahnte ich mehr was sie sagen wollte, als ich es wörtlich verstand. Da sie schon älter war (Ende 50) und sich zuvor nie damit beschäftigt hatte, lernte sie auch nicht mehr richtig, mit dem PC umzugehen. Als sie nach ca. 6 Jahren, im Endstadium der Krankheit, einen Computer bekam und eine Brille, mit deren Hilfe sie hätte mit den Augen die Tastatur bedienen können, konnte sie den Kopf nicht mehr halten und war insgesamt zu sehr geschwächt. Ich habe das mal versucht mit dieser Brille, es war sehr sehr schwierig!
Sie musste per Sonde ernährt werden und benötigte auch eine Heim- Beatmung. Wenn sie sehnsuchtsvoll versuchte, ein Stück aufgeweichten Marmorkuchen zu essen, war das eine Tortur, begleitet von furchtbaren Erstickungsanfällen. Natürlich musste sie gefüttert werden. Am schlimmsten war für sie, dass die Leute mit ihr sprachen, als wäre sie eine Idiotin. Weil sie eben nicht mehr verständlich reden konnte. Einmal hörte sie die Pflegerin, die von der - übrigens wunderbaren und liebevollen -Tochter meiner Freundin eingestellt worden war, vor der Zimmertür zu dem Hund des Hauses sagen: "So, jetzt bringen wir der Oma ihr Freßchen" ... Das hatte die Frau sicher nicht so böse gemeint wie es klingt. Aber für meine Freundin war DAS eine eiskalte Dusche!
Insofern ist es gut, dass mal aufmerksam gemacht wird auf die Krankheit. Und auch, dass Spenden fließen.
Aber wohin gehen diese Spenden genau? Was wird erforscht? Wer setzt die Spenden wofür ein? Welche Methoden werden bei der Forschung angewendet? Das konnte ich noch nirgends lesen.
Wissen eigentlich alle, die sich mit Eiswasser begießen, was los ist oder ist es nur so super witzig? Cool???
Sie bekam mal Besuch von ehemaligen Tennispartnerinnen, meine Freundin. Da fragte eine der Frauen sie, wie sie das nur aushalten könne. An ihrer Stelle hätte schon längst ihrem Leben ein Ende gesetzt, meinte die Frau. So etwas zu erzählen dauerte sehr lange. Aber als ich verstanden hatte, was sie mir gesagt hat, konnte ich nicht widerstehen und fragte meinerseits: "Und was hast Du geantwortet?" Sie schwieg lang und suchte nach Lauten - Worte konnte man es nicht mehr nennen. Dann sagte sie, dass sie manches Mal, als sie noch laufen konnte, in ihrem Garten vor dem Eisenhut gestanden habe. "Was hat Dich gehindert?" fragte ich. Nach langem Mühen kam die Antwort:
"Meine Moral".
Das vergesse ich nie. Ich weiß, was sie sagen wollte. Es gibt immer einen Grund, das Leben hoch zu schätzen.
Wenn ihr einen Menschen trefft, der aus welchem Grund auch immer behindert ist, behandelt ihn als das was er ist: Als gleichwertigen Menschen! Das ist am wichtigsten, lasst ihn oder sie nicht im Eisregen stehen!
Und vergesst nicht, für denjenigen zu beten. Wegen der Moral, um Gottes willen!